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Frauen liegen unter blutbeschmierten weissen Laken auf der Strasse.

«Der Machismus durchdringt die ganze Gesellschaft»

Weshalb engagiert sich terre des hommes schweiz für die Lebensbedingungen und Rechte von Frauen in El Salvador? Sandra Ramirez, Koordinatorin der Projekte von terre des hommes schweiz in dem mittelamerikanischen Land, gibt Auskunft.

terre des hommes schweiz: Sandra Ramirez, was gefällt Dir an El Salvador?

Sandra Ramirez: Die Menschen sind grosszügig und hilfsbereit und unsere Sprache ist weich und melodiös. Ich mag die sonnigen Strände. Und Pupusas, das sind aus Maisteig gebackene, gefüllte Teigfladen, eine typische salvadorianische Speise.

Was stört Dich an Deiner Heimat?
Bevor ich mir ein Auto leisten konnte, fuhr ich mit dem Bus zur Arbeit. Da fühlte ich mich nie sicher. Als Frau pfeifen dir die Männer ständig hinterher und du wirst belästigt. Selbst wenn ich Auto fahre, spüre ich die Aggression der Männer. Sie denken, es gehört sich nicht, dass eine Frau einen Wagen lenkt.

Warum ist das so?
Der Machismus in El Salvador ist sehr ausgeprägt, er durchdringt die ganze Gesellschaft. Männer betrachten Frauen als Objekte, die im Dienste anderer stehen. Frauen werden systematisch diskriminiert für ihr Geschlecht. Ihre Aufgabe sei es, sich um Familie und Haushalt zu kümmern. Frauen, die auswärts arbeiten, erhalten weniger Lohn und sie werden von den Männern dafür kritisiert. Auch gibt es für sie weniger Möglichkeiten zu studieren. Verliert eine Frau ihren Job, hat sie weniger Alternativen als Männer.

Portrait von Sandra Ramirez
Sandra Ramirez ist Nationale Koordinatorin von terre des hommes schweiz und von Beruf Ökonomin. Sie machte den Master in Internationaler Zusammenarbeit und Entwicklung in Spanien. Sie arbeitet seit über 25 Jahren in der Entwicklungsprojekten und feministischen Organisationen. Sie lebt mit ihrer Familie in der Hauptstadt von El Salvador, San Salvador.

Frauen sind also mehrfach benachteiligt gegenüber Männern …
Die Frauen in El Salvador kämpfen ständig für ihre Würde und dafür, dass die Männer ihnen attestieren, dass sie durchaus etwas auf die Beine stellen können und eine Persönlichkeit sind. Die Ungleichheit der Geschlechter in El Salvador ist durchgehend.

Woher kommt die Vorstellung, dass sich die Frau dem Mann unterzuordnen hat?
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Die grosse Mehrheit der Mädchen und Frauen in El Salvador kennt ihre Rechte nicht. Die Existenz von feministischen Organisationen wie Las Mélidas (Partnerorganisation von terre des hommes, Red.) ist noch relativ jung. Der andere Grund ist die katholische Kirche, die bei uns sehr mächtig ist: Sie verlangt den absoluten Gehorsam der Frau. Das ist ein tiefgreifendes Problem. Aber auch die grosse Schere zwischen Arm und Reich, mit ganz wenigen mächtigen Familien, trägt zur Benachteiligung der Mädchen und Frauen bei.

Armut ist ein Fluchtgrund.
Ja, die Arbeitslosigkeit ist hoch, viele junge Menschen emigrieren in die USA und schicken ihrer Familie Geld. Das kann dazu führen, dass sich die Zurückgebliebenen sagen: Dann brauche ich nicht zu arbeiten. – Viele verkaufen Dinge wie zum Beispiel Täfelchen oder Fruchtsäfte in den Strassen, um ein kleines Einkommen zu erzielen. Doch oft reicht dies nirgendwo hin und sie machen sich auf den Weg in Richtung Norden.

Las Mélidas engagieren sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen und Rechte von Mädchen und jungen Frauen. Weshalb liegt der Fokus auf der Arbeit mit Jugendlichen?
Ich bin überzeugt: Die Mädchen und jungen Frauen, die wir aufklären, unterstützen und stärken, werden den gesellschaftlichen Wandel für die nächste Generation bewirken. Nehmen wir zum Beispiel die öffentlichkeitswirksame Arbeit der Gruppe Las Amorales im Umfeld von Las Mélidas: Diese Arbeit ist nicht einfach spassig, sondern enorm wichtig und sie erfüllt mich mit Stolz. Wir wissen: Amorales wehren sich in Solidarität mit den Opfern seit mehreren Jahren auf kreative Weise gegen einen Professor, der Studentinnen systematisch sexuell belästigt. Las Amorales tun dies auf sehr hohem Niveau. Es ist wichtig, dass wir solche friedlichen zivilgesellschaftlichen Initiativen unterstützen, auch wenn wir die Früchte dieser Arbeit nicht sofort ernten.

Die Colectiva Amorales, ein Zusammenschluss von Mädchen und jungen Frauen, ist aus der Projektarbeit von Las Mélidas entstanden, salvadorianische Partnerorganisation von terre des hommes schweiz. Amorales machen mit theatralischen Aktionen auf das verbreitete Problem der sexuellen Gewalt in El Salvador aufmerksam und sind aktiv auf  Facebook.

Du zeichnest ein düsteres Bild der Frauenrechte in El Salvador. Gibt es dennoch Fortschritte hin zu mehr Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern?
Wir haben in El Salvador gute, neue Gesetze. So kann zum Beispiel eine Frau, die sexuell missbraucht wurde, eine Klage einreichen und Schutz einfordern. Allerdings bleibt das Problem: Gesetze per se schaffen noch keine Gerechtigkeit. Wir haben viele gute Gesetze in El Salvador, aber es hapert bei der Umsetzung. In jedem Fall aber müssen die Menschen die Gesetze kennen und darüber aufgeklärt werden.

Welches ist der richtige Weg zu einer gerechteren Gesellschaft?
Es gibt derart viel Ungerechtigkeit in El Salvador, da hilft nur das Zusammenstehen und die Solidarität über Geschlechter- und andere Grenzen hinweg. Das geht nicht ohne Kompromisse. Gleichzeitig müssen wir Frauen und Mädchen dran bleiben und weiter für unsere Rechte einstehen, auch wenn wir nur kleine Veränderungen sehen. Passivität löst das Problem sicher nicht. Wir müssen einander zuhören, an Schulen und in der Gemeinschaft informieren und aufklären und mit den Vätern und Müttern zusammenarbeiten.

Du erwähnst die Eltern als Vorbilder. Wie erziehst Du Deine Kinder?
Mein Mann und ich sind privilegiert, denn wir haben beide eine gute Ausbildung genossen und hatten Training in Gender-Bildung (Gender: das soziale Geschlecht, Red.). Mein Mann hat schon in jungen Jahren Jugendliche zu Männlichkeitsvorstellungen trainiert. Wenn wir mit unseren beiden Kindern zusammen sind, ein Knabe und ein Mädchen, behandeln wir sie gleich. Das macht den Unterschied.

Interview: Anna Wegelin

 

Weitere Projekte in El Salvador

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