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Mateus Nascimento ist ein junger Landwirt aus Paraíba, Brasilien.

Das Gold aus dem Nordosten Brasiliens

Couscous ist eine Speise, die im Nordosten Brasiliens so präsent ist, dass viele Brasilianer*innen nichts von ihrem afrikanischen Ursprung wissen. Das aus Maismehl hergestellte Nahrungsmittel ist ein essenzieller Bestandteil der brasilianischen Esskultur. Eines der Produkte, das versucht, sich zu etablieren, ist der «Flocão da Paixão». Doch der Kampf um die Marktanteile ist gross.

Bei einem kurzen Blick durch die Regale eines Supermarktes mögen die Couscousprodukte gleich aussehen. Doch der Schein trügt. Das sogenannte «kommerzielle» Saatgut dominiert den Lebensmittelmarkt. Ein bitterer Beigeschmack: Der damit verbundene Einsatz von agrotoxischen Stoffen und die Genmodifizierung sind eine Bedrohung für Mensch und Umwelt. Mateus Nascimento, ein junger Landwirt aus Queimadas, Paraíba, erklärt: «Im Gegensatz zu den kommerziellen Produkten ist unser Mais, die Basis für das brasilianische Couscous, frei von Transgenen. Das macht unseren «Flocão da Paixão» (Flocken der Leidenschaft) nicht nur schmackhafter, sondern auch gesünder», sagt der 25-Jährige.

Der Erfolg ihrer Maisflocken sei nicht nur das Ergebnis der Qualität des Produkts, sondern auch der Mobilisierung eines ganzen Gebiets zum Schutz der Gemeingüter vor den Bedrohungen durch die Agrar- und Wasserwirtschaft, wie Emanoel Dias, Landwirtschaftstechniker bei unserer Partnerorganisation ASPTA, erklärt. «Der Mais wird auf Grundlage der lokalen Bräuche und Nachfrage zum Endprodukt weiterverarbeitet. Es ist ein besonders schmackhaftes Nahrungsmittel, das in der Tat eine Geschichte zu erzählen hat.»

Hoffnung auf Wende in der Agrarpolitik

Mateus Nascimento erläutert, dass es eine Schulung für die Landwirt*innen aus dem Gebiet Borborema gibt, welche diesen die Bedeutung des Anbaus von einheimischem Saatgut und die Risiken des Anbaus von GVO (gentechnisch veränderte Organismen) näherbringt. Doch laut ihm ist eine der grössten Herausforderungen für die Aufrechterhaltung der Produktion von «Flocão da Paixão» der Maisanbau selbst. «Wir sind Landwirt*innen, die in Trockengebieten anbauen. Wir haben keine bewässerten Flächen. Dieses Jahr haben wir gute Aussichten auf den Verkauf, weil es viel geregnet hat und wir somit eine grosse Maisproduktion erzielt haben. Aber wenn es in einem Jahr nicht regnet, wie 2021, machen wir grosse Verluste, und unsere Sorge ist: Woher wird der gentechnikfreie Mais dann kommen?»

Mateus Nascimento fügt hinzu, dass auch der Zugang zu Land nach wie vor eine Schwierigkeit darstellt. Die Betriebe, in denen junge Menschen den Mais anbauen, sind noch immer klein. Deshalb setzt er seine Hoffnungen auf die Wahlen, die im Oktober dieses Jahres stattfinden. «Wir hoffen darauf, dass es in einer neuen Regierung zu einer wirklichen Agrarreform kommt, sodass die Jugendlichen durch neue Siedlungen und Gebiete nachhaltig, in grösserer Menge produzieren können».

Gänsehaut, wenn die Maschine mahlt

Bereits vor vielen Jahren sei in der Saatgutkommission des Borborema-Gebiets, der Mateus Nascimento angehört, über die Verarbeitung von Mais diskutiert worden. Zwischen 2018 und 2019 schafften sie erste Maschinen für die Produktion des Maismehls an. Nach einer gründlichen Analyse der Maschinen konnten sie ihre Arbeitsprozesse optimieren und Maschinen mit passenderem Siebsystem anschaffen. Diese ermöglichten ihnen schliesslich die Herstellung der Maisflocken. «Wenn die Maschine mahlt und die Flocken herausfallen, bekomme ich immer noch Gänsehaut – allein der Gedanke daran erfüllt mich mit einer unbeschreiblichen Freude und Stolz. Stolz, weil unsere Errungenschaft uns den Zugang zu einem Markt ermöglichte, dessen Erschliessung wir uns nie hätten träumen lassen. Zu Beginn gestaltete sich der Verkauf schwierig. Heute ist der «Flocão da Paixão» ein Verkaufsschlager, unser Goldschatz sozusagen.»

Die Genossenschaft CoopBorborema wurde im Jahr 2021 gegründet – mitten in der Pandemie. Das liess sie aber nicht davon abhalten, ihren Traum weiterzuverfolgen. Und ihre harte Arbeit trug Früchte: «Heute sind es auch junge Menschen, die in der Produktion tätig sind. Junge Menschen, die wissen, wie man mit den Maschinen umgeht und an der Verarbeitung beteiligt sind. Wenn Sie heute in die Genossenschaft gehen, werden Sie junge Leute sehen, die Ihnen den ganzen Prozess erklären können. Es ist beeindruckend und eine grosse Errungenschaft», hält Mateus Nascimento fest.

Hüter*innen des einheimischen Saatguts

In der halbtrockenen Region Paraíba, in der das Borborema-Gebiet liegt, ist das einheimische Saatgut, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, als Samen der Leidenschaft bekannt. Die Männer und Frauen, die sich um sie kümmern, werden als Hüter*innen bezeichnet. Diese Samen sind an die Region angepasst und haben der Zeit und dem Klima widerstanden. Doch der Kampf ist gross, denn das kommerzielle Saatgut, das den Einsatz von agrotoxischen Stoffen erfordert und die Genmodifizierung begünstigt, ist eine Bedrohung für Mensch und Umwelt.

Ein Akt des Widerstands

Die wenigen öffentlichen Massnahmen zur Erhaltung und Verwendung des einheimischen Saatguts sind in den letzten Jahren zurückgegangen, was die Erhaltung dieses Saatguts zu einem Akt des Widerstands macht. Hinter jedem Saatgut steht nicht nur der Wert des genetischen Materials, sondern auch ein kultureller Wert. Hinter jedem steht die Geschichte des Menschen, der den Samen hegt, pflegt und vermehrt. Noch bevor der «Flocão da Paixão» in die Regale kam, wurden bereits mehrere Strategien für die Konservierung von Samen entwickelt und umgesetzt. Eine der Strategien war die Einrichtung und Erhaltung von Saatgutbanken. Es handelt sich dabei um Gemeinschafts- oder Familienräume, in denen jeder sein Saatgut aufbewahrt, um es vor Bedrohungen zu schützen. Derzeit gibt es in Paraíba über 300 solcher Banken. Eine von ihnen befindet sich auf Mateus Nascimentos Anwesen, im alten Haus, wo früher seine Grosseltern lebten.

Kampf für Ernährungssicherheit

Die Art und Weise, wie das Borborema-Gebiet auf der Grundlage verschiedener Strategien organisiert ist, hat ermöglicht, dass das Gebiet praktisch eine Oase in einer rauen Realität ist. Die zweite nationale Studie «National Survey on Food Insecurity in the Context of the Covid-19 Pandemic in Brazil» zeigt, dass 125,2 Millionen Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen sind und mehr als 33 Millionen hungern. Der Nordosten ist die zweitbetroffenste Region, in welcher der höchste Prozentsatz an hungernden Familien in Brasilien lebt: 21 Prozent der Menschen haben schwerwiegende Ernährungseinschränkungen. Silvio Porto, Professor an der Bundesuniversität des Recôncavo Baiano, betont die Wichtigkeit, die lokale Produktion und den Verbrauch in den Gebieten direkter zu fördern.

Mateus Nascimento und seine Familie sind ein gutes Beispiel für das, was Silvio Porto hervorhebt. «Sobald ich Lebensmittel produziere und sie zu einem fairen Preis verkaufe, gebe ich anderen Menschen mit geringem Einkommen die Möglichkeit, Zugang zu diesen Lebensmitteln zu erhalten. Dank der Möglichkeiten, die ich durch das Projekt der
ASPTA erhielt, leben meine Familie und ich von dem, was wir auf unserem Grundstück produzieren und von unserem Einkommen, mit welchem wir an andere Lebensmittel gelangen. Meine Familie und ich müssen keinen Hunger leiden, und ich weiss nicht, wie er sich anfühlt. Ich weiss, dass Hunger weh tut. Aber das ist so eine Sache mit dem Wissen – man weiss es nicht, ohne es jemals erlebt zu haben.»

Autorin: Fernanda Cruz, Mitarbeiterin Allianz terre des hommes schweiz/Terre des Hommes Suisse
Redaktion und Übersetzung: Sheila Glasz

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