fbpx
Suche

Menschenfreundin und Impulsgeberin 

Irene Bush hat die Psycho-Soziale Unterstützung PSS für Jugendliche bei terre des hommes schweiz aufgebaut. Nun wird Irene Bush pensioniert und bleibt terre des hommes schweiz weiterhin als Konsulentin erhalten. Grund genug, um mit ihr über die Leitprinzipien ihrer Arbeit zu reden, über Gerechtigkeit und Gemeinschaftssinn, das Prinzip Hoffnung und ihr Engagement für junge Menschen aus Nord und Süd in prekären Situationen. 

«Mein Weg ist kein geradliniger, vieles hat sich einfach ergeben.» Wenn Irene Bush etwas sagt, ist es klar und sie meint es auch so. Ich treffe mich mit meiner Arbeitskollegin im Büro von terre des hommes schweiz an der Laufenstrasse in Basel. Nach über 20 Jahren Engagement räumt sie in diesen Tagen ihren Arbeitsplatz, um uns als frischgebackene Rentnerin weiterhin in der Arbeit mit Jugendlichen zu beraten. 

Irene Bush hat massgeblich dazu beigetragen, dass terre des hommes schweiz eine Kernkompetenz erworben hat in der Psycho-Sozialen Unterstützung von Jugendlichen, kurz PSS (Psycho Social Support). Ins gleiche Kapitel gehören die Fachbegriffe Lösungsorientierter Ansatz SFA (Solution Focused Approach) und Jugendpartizipation – Wörter, die sich Aussenstehenden nicht auf Anhieb erschliessen, in der konkreten Arbeit mit besonders verletzlichen Jugendlichen im südlichen Afrika, Lateinamerika und der Schweiz jedoch grosse Wunder im Kleinen bewirken können. 

Schritt für Schritt zum Ziel 

Bei den jugendlichen Teilnehmenden in PSS-Workshops stehe vor allem eines im Vordergrund, sagt Irene Bush: «Nicht sich selbst überlassen sein, Hoffnung schöpfen und den Mut haben, mögliche Veränderungen selber in die Hand zu nehmen und Schritt für Schritt umzusetzen.» Was simpel tönt, erfordert für sie als Fachperson viel Einfühlungsvermögen, Selbstkenntnis und Offenheit, damit die Jugendlichen ihre lähmende Negativität überwinden, Vertrauen bekommen und eine positive Energie entfalten können. 

«Die Jugendlichen kommen und gehen und wir von terre des hommes schweiz sind einfach eine Station in ihrem Leben», sagt sie. «Das Wichtigste, was wir ihnen geben können, ist, dass sie an sich selber glauben und wissen, wie sie selbstbestimmt Veränderungen herbeiführen und Entscheide fällen können 

Den Spielraum nutzen 

Irene Bush, die vor 15 Jahren die Fachstelle PSS von terre des hommes schweiz aufgebaut hat, predigt nicht von der Kanzel herab. Sondern sie lebt vor, woran sie glaubtüberall und jederzeit. Auch bei sich selbst wendet sie die Devise «think positive», «denke positiv» an. Auf ihren Bandscheibenvorfall angesprochen erklärt sie, zuerst gelte es, genau hinzuschauen: Ist es überhaupt ein Problem? «Mit bleibenden Einschränkungen kann man lernen, so gut wie möglich umzugehen.» Manchmal gebe es einen «Rahmen», äussere Umstände, die sich nicht ändern liessen. Da lohne sich der Widerstand nicht. Ihr gehe es vielmehr darum, die «Ausnahmen im System» zu erkennen, sagt Irene Bush: «Es gibt ganz viele kleine Dinge, die wir ändern können. Wir müssen sie einfach sehen und den Spielraum nutzen.» 

«Alle sollen dieselben Chancen haben», sagt Irene Bush. Die Aufnahmen stammen von einem Workshop, den terre des hommes schweiz  im Sommer 2019 mit jungen Migrant*innen durchführte. 

Wir verlassen das Feld der angewandten Fallbeispiele und ich frage meine Arbeitskollegin, was sie für den Lösungsorientierten Ansatz SFA mit Jugendlichen in einer fragilen Situation motiviere. «Ich interessiere mich für Menschen und mich interessiert, was wir mit unserem Leben machen können», antwortet Irene Bush. Sie werde «reich beschenkt durch den Austausch» mit anderen, erzählt sie. Das Prinzip «zusammen etwas erreichen» bewege sie persönlich und sei auch eine Stärke von terre des hommes schweiz. Antreiben tut sie ein starker Gerechtigkeitssinn. «Ich ertrage Ungerechtigkeit und Ausgrenzung nur schlecht», meint Irene Bush«Alle sollen dieselben Chancen haben.» 

Im Luftschutzkeller in Jerusalem 

Welche Erfahrungen haben ihre Wertehaltung geprägt? Wir tauchen in ihre Kindheit ein, in der wichtige Weichen fürs Leben gestellt werden. Mitte der 1960er-Jahre, als Irene im Primarschulalter ist, zieht sie mit ihrer Familie für eine Zeit nach Israel. «Mein Vater wurde Küchenchef im King David Hotel in Jerusalem», erzählt sie. Die von katholischen Nonnen geführten Privatschule, die sie besucht, ist ein Schmelztiegel der Kulturen und Religionen. Die Familie wohnt in einem jüdischen Viertel und hier spricht Irene mit KZ-Überlebenden: «Ich wusste damals nicht, was der Holocaust war, aber was sie mir berichteten, hat mich geprägt.» Während dem Sechstagekrieg 1967 verharrt sie mit anderen in einem engen Luftschutzkeller ohne WC. «In unserem Haus gab es Einschüsse. Das hinterlässt Spuren.» 

In London an die Kunstgewerbeschule 

Als junge Frau zog es Irene Bush nach London an die Kunstgewerbeschule. «Kunst war für mich schon immer ein Ausdrucksweg», sagt sie. Sie gründete eine Familie und bekam Kinder. Sie machte Aus- und Weiterbildungen, unter anderem im therapeutischen Bereich. Wieder zurück in der Schweiz, führte sie während einigen Jahren ein Atelier für Kunsttherapie in Rheinfelden AG, wo sie bis heute lebt. Sie arbeitete mit dementen Menschen in einem Altersheim und in der Ausbildung beim Schweizerischen Roten Kreuzwar Seminarleiterin und Supervisorin am Alfred Adler Institut in Zürich. 

Wie kam es zu so vielen doch sehr unterschiedlichen Engagements? «Ich bin immer wieder in etwas hineingerutscht», antwortet Irene Bush«Es hat sich halt so ergeben: Ich wurde gebraucht und machte mich nützlich.» Wir tauschen uns über drei solche «Zufälligkeiten» im Leben aus: Ihr Engagement für die Rechte der Urbevölkerung in den USA, für Menschen mit HIV/Aids in der Schweiz und für benachteiligte Jugendliche in Tansania. 

Für ein gutes Leben bis zum Schluss 

Als 1978/79 erstmals eine Delegation der LakotaSioux für die Teilnahme an einer Menschenrechtskonferenz in die Schweiz kommt, übernimmt Irene Bush auf Anfrage das Dolmetschen. In der Folge vertritt sie die traditionelle Regierung des Indianerstammes während zehn Jahren ehrenamtlich in ganz Europa«Ich begleitete sie nach Genf, organsierte Reisen ins Reservat und machte Fundraising», erzählt sieZehn Jahre später wiederholt sich die Sache in ähnlicher Manier: Als Ende der 1980er-Jahre eine Delegation HIV-positiver und aidskranker Menschen aus San Francisco für ein internationales Seminar der Aids-Hilfe Schweiz hierherkommt, ist sie wieder fürs Dolmetschen im Einsatz. 

Von hier ist es nicht mehr weit bis zur Aids-Hilfe im Kanton Aargau, wo sie sich während sieben Jahren engagiert. «Es hat mich fasziniert, mit Menschen zu arbeiten, die Ausgrenzung erleben», sagt Irene BushDoch sie habe gewusst: «Irgendwann musst du aufhören, sonst wirst du ausgelaugt. So viel Sterbebegleitung, so viel Leiden.» 

Gleiche Mitsprache für alle 

Da stösst sie auf eine Stellenausschreibung von terre des hommes schweiz: 50 Prozent Vereinsadministration, ein Brotjob neben ihrer selbständigen Tätigkeit und den Kindern. «Ich sah, das war eine gute Sache, da würde ich mich gern engagieren», erinnert sie sich. Damals, im Jahr 1999, sei terre des hommes schweiz noch eine kleine Organisation und «durch und durch basisdemokratisch» gewesen. «Alles wurde mit allen diskutiert», meint sie schmunzelnd. Zwischendurch wird sie sogar Mitglied der neu formierten Geschäftsleitung, bis eine neue wichtige Aufgabe an sie herangetragen wird: Denn die Aids-Pandemie hatte die afrikanischen Länder südlich der Sahara mit aller Wucht getroffen. 

Die Aids-Pandemie in Afrika 

«Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen», sagt Irene Bush, «eine ganze Generation starb einfach weg. Die Kinder waren auf der Strasse oder die Leute nahmen so viele Aidswaisen bei sich auf, bis sie nicht mehr konnten.» Zu Beginn sei es um die reine Überlebenshilfe gegangen, Obdach, Schule, Beistand, erzählt sie. «Doch die grosse Frage war: Wenn Millionen von Kindern sich selbst überlassen sind, gibt das Gesellschaften, die nicht mehr funktionieren. Deshalb sagte Kurt Madörin, mein damaliger Kollege bei terre des hommes schweiz: Wir müssen auch psychisch etwas machen.» Gesagt, getan: 1998/99 gründete die Entwicklungsorganisation in Tansania das Pilotprojekt Humuliza für die psychosoziale Unterstützung von AidswaisenHumulizadas von der UNAIDS ausgezeichnet wurde, ist bis heute ein Partnerprojekt von terre des hommes schweiz. 

«Meine Erfahrungen in der HIV/Aidsprävention und die Begleitung der betroffenen Menschen in der Schweiz waren nützlich beim Erarbeiten neuer Ansätze für die Prävention und Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit HIV und Aids in Tansania», sagt Irene Bush. 

PSS im Nord-Süd-Kontext 

Im Jahr 2000 ging Irene Bush mit Kurt Madörin für sechs Wochen nach Tansania. Gemeinsam mit lokalen Mitarbeitenden entwickelten sie psychosoziale Workshops passend zum dortigen Kontext und führen diese mit Jugendlichen durch. «Wichtig für die kulturelle Akzeptanz war der Einbezug von Erwachsenen aus den Gemeinden, damit sie die Jugendlichen unterstützten», erzählt sie. Bis heute arbeitet terre des hommes schweiz nicht nur mit jungen Menschen zusammen, sondern bindet auch ihr soziales Umfeld ein. 

In den darauffolgenden Jahren macht Irene Bush einen kleinen Abstecher und arbeitet vorübergehend im Gründungsteam von REPSSI (Regional Psycho Social Support Initiative), der internationale Zusammenschluss von vier Organisationen, darunter terre des hommes schweiz. «REPSSI setzte sich dafür ein, nachhaltige psychosoziale Ansätze in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Subsahara-Afrika zu entwickeln, weiterzugeben und sich auch politisch dafür einzusetzen», fasst sie zusammen. In dieser Zeit sei sie viel auf Reisen gewesen, sagt sie: «Es war sehr intensiv.» Als terre des hommes schweiz sie 2005 anfragte, ob sie Fachstelle PSS aufbauen wolle, habe sie «sofort zugesagt». 

Kleine Geschichten mit einer grossen Wirkung 

Blickt sie auf die letzten 15 Jahre mit der Fachstelle PSS zurück, mache sie das stolz, sagt Irene Bush: «terre des hommes schweiz hat den Mut, in Nischen zu arbeiten und Dinge auszuprobierenDas macht uns menschlicher und gibt uns Innovationskraft.» 

Radio-Portrait über Irene Bush ausgestrahlt vom SWR 2 am 9.10.2020 

Begegne sie ehemaligen Jugendlichen eines PSS-Workshopspäter irgendwann wieder, sehe sie, wie sie auf ihrem Weg weitergekommen seien, erzählt sie. Zum Beispiel die junge Frau aus Peru, die bereits mit 13-Jährige als Hausmädchen schuftete und Ausgrenzung und Übergriffe erleben mussteZu Beginn des PSS-Workshops habe das Mädchen nicht einmal den Gleichaltrigen in der Gruppe in die Augen geschaut, erzählt Irene BushSpäter habe sie dann den Schulabschluss nachgeholt und heute, 14 Jahre später, sei die junge Peruanerin «die beste Lehrerin der Welt», sagt Irene Bush: «Mir kommen so viele grossartige Geschichten in den Sinn.» 

Ein ernsthaftes Thema mit Platz für Ausgelassenheit: Die Aufnahmen wurden 2019 in Südafrika gemacht. Die Teilnehmenden des Workshops für Lösungsorientiertes Arbeiten SFA erhalten ihr Zertifikat von Irene Bush (im Bild oben links).

Sich eine Stimme geben 

Zuletzt frage ich Irene Bush: Wie misst terre des hommes schweiz den Erfolg von PSS und SFA? «Eine grossartige Wirkung ist, wenn Jugendliche selbstbestimmt Entscheide fällen und Veränderungen herbeiführen», antwortet sie. Teenager seien besonders abhängig und verletzlich und darauf «angewiesen, dass etwas von aussen kommt, damit es von innen heraus wirken kann». 

Das grösste Kompliment punkto Wirkungsmessung – ein Benchmarking in der professionellen Entwicklungszusammenarbeit – sei von einem DEZA-Mitarbeiter gekommen, der ein Jugendprojekt von terre des hommes schweiz in Tansania besucht hatte, sagt Irene Bush: «Es fiel ihm auf, wie offen die Jugendlichen seien. Sie getrauten sich zu sprechen, äusserten ihre Anliegen und das Ganze wirkte nicht einstudiert, sondern kam von den Jugendlichen selbst.» 

Text: Anna Wegelin 

Mehr zu Psycho-Soziale Unterstützung PSS

Fotos Samuel Rink

Nach oben blättern