Fast dreissig Jahre hielt der Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien Marokko und der Frente Polisario, die politische Vertretung der Sahrauis. Mitte November eskalierte der Konflikt und nun stehen die Zeichen auf Krieg. Die junge Sahraui Laila Fakhouri setzt sich für eine friedliche Lösung des Konflikts und für die Rechte ihres Volkes ein. Seit März sitzt die Menschenrechtsaktivistin in den sahrauischen Flüchtlingscamps in Algerien fest. Von dort berichtet sie Sylvia Valentin von terre des hommes schweiz über die zermürbende Situation, die einer friedlichen Lösung des «vergessenen» Westsahara-Konflikts zuwiderläuft.
Der Konflikt in den Medien
«Es stimmt mich traurig, dass sich die internationalen Medien nur für uns interessieren, wenn die Situation eskaliert. Die marokkanischen Medien berichten kaum über den Konflikt. Dem gegenüber berichtet die Polisario täglich von Angriffen an verschiedenen Stellen entlang des Walls. Es gibt aber keine Bilder oder Videos davon und die westlichen Medien haben keinen Zugang zum Konfliktgebiet.»
Laila Fakhouri ‒ wo sie aktuell ist, was sie tut
«Ich sitze seit März 2020 in den Flüchtlingslagern fest. Ich bin sehr froh, jetzt hier zu sein. Ich hätte Angst, im Moment nach Marokko zurückzukehren. Jetzt ins Gefängnis zu kommen, wäre noch schlimmer als sonst. Ich bin darauf eingestellt, für längere Zeit in den Flüchtlingslagern zu bleiben.
Ich arbeite von hier aus als Übersetzerin und stehe im Kontakt mit politischen Gefangenen, unter anderem eine Gruppe Studierende, die nach friedlichen Protesten seit über einem Jahr in Haft ist. Sie erzählen mir, dass sie jüngst noch mehr eingeschränkt sind als sonst. So dürfen Sie zum Beispiel noch seltener mit der Aussenwelt telefonieren und wenn, dann für immer weniger Zeit. Ich glaube nicht, dass Marokko politische Gefangene freiwillig freilässt.
Ich arbeite in einer Gruppe mit, die sich gegen Fake News einsetzt. Marokko hat Hunderte von Trollen im Einsatz, die Falschinformationen verbreiten. Wir spüren die Fake News auf, kommentieren sie auf Facebook und Twitter und verbreiten unsere Berichtigungen in den sozialen Netzwerken.»
Die Stimmung und die Themen
«Das Thema Covid-19 und Corona ist nicht mehr wichtig in den Flüchtlingslagern. Im Moment dreht sich alles um den ‘Krieg‘, er ist ständig und überall das vordringliche Thema. Es gibt Männer aus den Flüchtlingslagern, die ein militärisches Training machen.
Die Situation im besetzten Gebiet ist schlimm: Telefonanrufe werden abgehört und Häuser werden gestürmt. Die marokkanische Polizei ist überall, vor dem Haus meiner Mutter in Marokko steht auch rund um die Uhr ein Polizist.
Die aktuelle Situation hat es noch schwieriger gemacht, dass man vom Flüchtlingslager aus mit Familie und Freund*innen im besetzten Gebiet Kontakt haben kann. Das ist natürlich alles nicht neu, nur hat sich die Situation jetzt nochmals zugespitzt.»
Wie es den jungen Sahrauis ergeht
«Was soll ich jenen unter uns sagen, die ‘in den Krieg ziehen‘ oder es beabsichtigen? Ich verstehe, dass die Menschen genug haben, alles steht still und nichts bewegt sich vorwärts. Die Jungen haben es satt, dass ihr Volk ‘vergessen‘ wird und ihr Land, die Westsahara, die ‘letzten Kolonie in Afrika‘ ist.
Die Situation der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den Flüchtlingslagern ist zermürbend. Initiativen wie das Jugendprojekt von terre des hommes schweiz im Flüchtlingslager Smara sind enorm wichtig für sie. Man muss sich das so vorstellen: Die junge Generation in den Flüchtlingslagern ist zum Nichtstun verdammt und harrt im Niemandsland aus. Das tötet jegliche positive Energie. Nichts tun und nicht arbeiten können bedeutet, die Perspektive zu verlieren und sich nutzlos zu fühlen. Junge Menschen brauchen Ziele! Jugendliche, die in Jugendprojekten mitmachen, stehen motiviert auf am Morgen, tun etwas und sind so viel weniger anfällig dafür, zu den Waffen zu greifen.»
Als anerkannte Menschenrechtsaktivistin mehr Schutz?
«Manche Leute meinen, dass mir jetzt nichts mehr passieren kann, weil ich den Menschenrechtspreis 2019 der Stadt Weimar bekommen habe und bekannt bin. Ich bin mir da nicht so sicher. Marokko hält nicht viel von Menschenrechten. Aminatou Haidar, Trägerin des alternativen Nobelpreises, wurde erst gerade an der Ausreise nach Spanien gehindert.
Die Auszeichnung mit einem Menschenrechtspreis bedeutet auch mehr Verantwortung für mich. Vorher war ich einfach eine freiwillige Aktivistin. Nun erhalte ich sehr viele Anfragen und Nachrichten. Dabei erfahre ich auch Schönes: Als ich einmal im besetzten Gebiet unterwegs war, wurde ich von einer Frau mit ihren zwei Mädchen erkannt. Sie sagte, sie wünsche sich, dass ihre Töchter einmal wie ich würden.
Wenn ich an Treffen mit Aktivist*innen und Sahrauis gehe, geht es oft nur um Gewalterfahrungen, schlimme Dinge und um Probleme. Dann erzähle ich ihnen von meinen Reisen nach Deutschland, in die Schweiz und nach Schweden. Ich zeige ihnen Bilder mit Politikern und Politikerinnen, mit denen ich redete und sage, nicht alle würden uns ganz vergessen. Es ist wichtig zu sehen: Es gibt auch positive Entwicklungen, die trotz allem Grund zur Hoffnung geben.»
Was die Schweiz tun kann
«Die Schweiz sollte die UNO auffordern, ihren Job zu machen. Niemand will einen Krieg. Niemand will, dass es für die Menschen so wird wie in Syrien oder in Libyen. Die Schweiz kann friedlichen Druck ausüben uand dazu beitragen, dass die Sahrauis in den besetzten Gebieten geschützt sind. Sie sollte auch fordern, dass politische Gefangene besucht werden können.»
Aufzeichnung Sylvia Valentin; Mitarbeit Anna Wegelin